Am Montag habe ich auf dem LA Film Festival einen sehr interessanten Film namens Join Us gesehen. Es ist eine Dokumentation von Ondi Timoner (ausgesprochen: tih-MOE-ner wie Jonesy aus der Jukebox Jury am Freitag herausgefunden hat), der Regisseurin vom großartigen Dig! - dem Film über die Brian Jonestown Massacre und die Dandy Warhols. Statt auf Rock´n´Roll hat Timoner ihre Kameras diesmal auf einen religiösen Kult in South Carolina gerichtet. Timoner sagt, sie sei interessiert gewesen, einen Film über psychische Manipulation zu drehen, nachdem sie Zeugin der größenwahnsinnigen Taktiken von Anton Newcombe wurde, mit denen dieser seine Bandkollegen auf einer Linie hielt. (Mal so nebenbei: Jedes mal wenn ich zu Hause eine BJM Platte spiele, fragt mich meine Frau, ob ich das bin, so ähnlich ist sich der Stil von BJM und meiner alten psychedelischen Band Dimentia 13)
Dem Film zufolge ist die neue Art von Sekte nicht mehr die riesige internationale Organisation wie die Moonies oder Scientology. Verbreiteter sind heute kleine Sekten von denen man in ländlichen Gegenden niemals was hört. Sie arbeiten völlig unter dem Radar. Es gibt praktisch keine Kontrolle über Gruppen, die sich als religiöse Sekte bezeichnen, und in Amerika kann das praktisch jeder tun. Wenn nicht alle Sektenmitglieder Selbstmord begehen wie bei Jonestown oder Heaven´s Gate, oder andere Menschen umbrigen wie Aum Shinrikyo in Japan, hört man niemals von ihnen.
Der Film begleitet den Zusammenbruch einer solchen Mini-Sekte, einer christlichen Feuer und Schwefel Kirche, angeführt von dem charismatischen deutschen Einwanderer Raimund Melz. In vertraulichen Gesprächen mit früheren und gegenwärtigen Mitgliedern der Melz-Sekte und sogar mit Melz selbst erfahren wir, wie aus einer einst eher gutartigen kleinen Landkirche etwas ziemlich beängstigendes und potentiell gefährliches geformt wurde.
Aus der Erfahrung mit meiner Dokumentation Cleveland´s Screaming habe ich gelernt, dass es selbst einer sachlichen Reportage zuträglich ist, einen Helden und einen Schurken zu haben. Der Held von Join Us ist die eine tapfere Seele, welche der Sekte entfloh und seine Brüder drinnen aufklärte, an was für einer tückischen Sache sie sich beteiligen, was letztlich weitesgehend zum Sturz der Kirche führte. Natürlich gibt es sie auch heute noch, aber die Mountain Rock Church ist ein bloßer Schatten ihres früheren Selbst, obwohl der Film behauptet, dass Melz über 5 Millionen Dollar aus seinen Schülern gesaugt hat. Melz und seine Frau sind die Schurken des Stücks.
Aber als ich den Film sah, hatte ich letztlich viel größere Sympathie, beziehungsweise jedenfalls Emphatie, mit Raimund Melz als mit seiner aufgebrachten früheren Gemeinde. Als der Anführer meines eigenen Kultes kann ich seine Seite der Geschichte deutlicher sehen, als die der vermeintlichen Helden des Films. Ich sitze da und denke „Wie bekomme ich meine Anhänger dazu, mir eine Flotte von Sportwagen zu kaufen, mir eine ganze Wohnsiedlung von kostenlosen Häusern zu bauen, welche ich dann wiederum zu überhöhten Preisen an sie vermieten kann? Wie kommt es, dass ich mein eigenes Geld nehmen muss, um das Hill Street Center für Retreats und Zazen-Kurse zu mieten, und damit jeden Monat einen immensen Verlust mache, weil nur 5 Leute vorbeikommen? Was soll das? Verdammt, vielleicht sollte ich 185 $ pro Sitzung berechnen und alle hypnotisieren, so das sie am Ende des Tages denken, dass sie erleuchtet seien…“
NEIN!NEIN!!NEIN!!! Ich scherze! S-C-H-E-R-Z-E. OK? Mal im Ernst ich verstehe Melz besser als seine Anhänger. Lass mich das etwas näher erläutern.
Die ehemaligen Mitglieder der Mountain Rock Church wollen Pastor Melz für die schrecklichen Dinge, die er sie tun ließ, teuer bezahlen lassen. Der Film verfolgt ihre Bemühungen eine Mehrere-Millionen-Dollar-Klage gegen ihr früheres Oberhaupt aufzuziehen. Man erfährt von ihrem Wunsch, dass Melz so qualvoll wie möglich sterben solle. Ein Ex-Mitglied sagt, er hoffe sie können Melz hinter Gitter bringen, da er andernfalls den Mann den er einst für so heilig hielt möglicherweise höchstpersönlich umbrächte.
Als ich mir das weiter ansah und anhörte, dachte ich darüber nach, was nun die eigentlichen Anschuldigungen sind. Melz wird des Planes bezichtigt, seine Jünger verschiedene Häuser bauen zu lassen, welche auf Gottes Geheiß – vermittelt durch Melz freilich – sogleich dem Pastor übergeben werden sollten, damit die Kirche (d.h. Melz) an ihnen verdienen kann. Der Pastor wird darüber hinaus beschuldigt seine Gemeindemitglieder angewiesen zu haben, ihre Kinder für jede kleine Ungehorsamkeit blutig zu schlagen. Melz soll die „richtige Art“ Strafe auszuteilen demonstriert, und die Kinder gelegentlich auch selbst geschlagen haben. Im Großen und Ganzen kamen die wirklich abscheulichen Bestrafungen allerdings von der Hand der liebenden Eltern.
Aufgepasst, Leute! Folgendermaßen: Wenn Du etwas tust, bist Du verantwortlich dafür. Ganz egal wer Dich dazu angestiftet hat, selbst wenn es Gott höchst persönlich war. Das Gesetz von Ursache und Wirkung bietet Dir kein Hintertürchen, durch das Du Dich heraus schleichen kannst. Es ist mir ziemlich egal, was der Große Heilige Mann oder das Große Heilige Buch Dir erzählt, was es für besondere Ausnahmen gibt, oder welches Gericht Dich letztlich freispricht. Du bist immer noch voll verantwortlich, unter allen Umständen, jederzeit, im ganzen Universum, für immer und ewig, Amen!
Ich kann Menschen, die ihre Verantwortung für die Dinge, die sie getan haben, von sich wegschieben nicht ausstehen, egal unter welchen Zwang sie standen. Klar, es ist nicht einfach zu allen Forderungen, die von außen an einen herangetragen werden, „Nein!“ zu sagen. Manchmal musst Du das aber einfach machen. Das macht den Helden des Films eigentlich heldenhaft - er geht einfach. Genauso wichtig ist es aber auch, gar nicht erst in so eine Scheiße zu geraten.
Das führt uns zu einem anderen Thema. Anders als die ehemaligen Mitglieder der Melz-Kirche uns glauben machen wollen, sind Sektenanhänger niemals einfach nur kleine unschuldige Dinger die von großen, bösen, schmutzigen und gierigen Typen hinters Licht geführt werden, weil die armen kleinen reh-äugigen Schätzchen es nicht besser wussten. Es sind Menschen, die unbedingt reingelegt werden wollen.
Mann, ich merke das manchmal bei einigen Leuten die bei mir vorbeikommen oder E-Mails schreiben. Ich ziehe sie nicht besonders an – eher stoße ich sie mit meiner Art von ganz allein ab – weswegen ich mich selbst nicht so häufig mit Ihnen auseinandersetzen muss. Aber ich höre oft von Typen, die ernsthaft nach jemandem wie Melz, Charles Manson, bin Laden, oder Hitler suchen. Es ist ziemlich beängstigend zu wissen, dass die wirklich schlimmen Fälle nicht aufhören zu suchen, bis sie entweder einen Größenwahnsinnigen oder zumindest einen armen Trottel finden, den sie in den korrupten Anführer verwandeln können, den sie sich so sehr herbeisehnen. In den Fragen mancher Menschen kann man die tiefe Sehnsucht nach jemandem, der ihnen sagt, was sie tun, fühlen und denken sollen, förmlich greifen. Manche der wirklich traurigen Fälle wollen – von allen ausgerechnet !!! – mich als großen Meister, der sie – freilich ohne ihr eigenes Zutun – in das gelobte Land führt.
Ich kann die große Enttäuschung spüren, wenn ich mich weigere dieser jemand zu sein. Und das ist manchmal wirklich hart für mich. …wenn ich doch nur derjenige sein könnte, der sie glücklich macht… Aber ich weiß, wohin das führt, und weigere mich, da mitzumachen. Ganz oft sind solche Menschen sehr geschickte Manipulatoren, die genau wissen, wie sie ihren Meister anpacken müssen, um ihn dazu zu bekommen, ihnen zu erzählen, dass Gott sie all´ die schlimmen Dinge tun sehen möchte, die sie sich innerlich so sehr herbeisehnen. Manch ein anständiger Lehrer meines Faches läuft einfach weg, wenn er so unter Druck gesetzt wird, und verweigert sich Anhängern jeder Art vollkommen. Es gibt eine Geschichte über Kobun Chino, den Meister meines ersten Zen-Lehrers, wie er einem Typen ausgesetzt war, der ihn unbedingt zu seinem Guru machen wollte. Kobun entschuldigte sich, und flüchtete aus dem Fenster des Badezimmers. Das kann ich gut verstehen. Auf Anführern jeder Art von religiösen Organisationen lastet großer Druck, der starke Papi oder die fürsorgende Mami für die Versammlung zu sein.
Der Grund ist ziemlich elementar. Wie jemand in dem Film betont, haben Menschen die längste Periode der Abhängigkeit aller Tiere, die wir kennen. Im Gegensatz zu Wesen, die innerhalb weniger Monate, wenn nicht sogar Wochen, Tage oder Stunden vollkommen unabhängig von ihren Eltern werden, können wir Jahrzehnte unter den Flügeln von Mama und Papa verbringen. Manche von uns leben niemals eigenständig, sondern verbringen stattdessen den Rest ihres Lebens mit der Suche nach neuen Eltern, die ihnen nen Lolli kaufen, wenn sie lieb waren, und den Arsch versohlen, wenn sie Scheiße gebaut haben. Und da sie schon mal dabei sind, können sie diesen Arsch auch gleich noch abwischen und kostenlose Unterkunft und Verpflegung obendrauf legen. Wir tun alles, um unseren neuen Eltern zu zeigen, dass wir artige Kinder sind.
Das soll freilich nicht die ganzen fiesen Sektenführer von ihrer Verantwortung davon freisprechen, was ihre Anhänger unter ihrer Führung anstellen. Natürlich tragen sie Verantwortung. Aber ein Guru hat nicht im ganzen Stück nur nen Monolog. Man kann keinen Sektenführer sein, ohne eine Sekte, die man führt. Die Monolog-Guru-Typen sind die, die an der Straßenecke stehen und von allen ignoriert und ausgelacht werden.
Ich vermute, Timoner wird das alles auch so verstanden haben. Gleichzeitig musste sie aber wohl ein Übergewicht auf die Darstellung der Geschichte der ehemaligen Mitglieder der Mountain Rock Church legen, damit sie diese überhaupt vor die Kamera bekommen hat. Dazu kommt Melz aber auch wirklich schlecht weg, wenn er denn mal die Gelegenheit erhält zu sprechen.
Beim Interview nach dem Film sprach Timoner darüber, wie normal alle in der Kirche waren, und dass auch sie dieser Sekte einfach hätte beitreten können. Jeder könnte das, sagte sie. Das ist nur zu wahr! Ich war in jungen Jahren ebenfalls reif, von einer Sekte eingesammelt zu werden, und habe darüber in Hardcore Zen geschrieben. Lest es nach, meine Freunde.
Über Sekten verschiedenster Religionen habe ich viel gelesen und viele Filme gesehen. Bei dem Großteil davon geht es darum, dass die Sektenjünger letztlich voll verantwortlich sind, wenn sie die Anweisungen ihrer Meister ausführen. Aber ich kann nicht ein einziges Buch oder einen Film nennen, der sich damit befasst, wie die Basis der Sekte dazu beiträgt, ihre „teuflischen“ Anführer dazu zu machen, was sie werden. Das ist keine Sache, die von einem Typ oder einer Gruppe, der oder die Befehle gibt, einfach so zu den Leuten, die diese dann ausführen nach unten durchläuft. Sie sind keine getrennten Wesen, sondern eine Art Gruppenorganismus, zu dem jedes Gruppenmitglied gleichrangig beiträgt.
Wie auch immer. Ich empfehle den Film wärmstens! Es ist ein interessantes Stück über ein wichtiges Thema.
Ich hoffe, Timoner ist auch da, wenn meine Sekte so richtig durchstartet! ;-p
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